Herr Di-Qual, Sie haben künstliche Surfwellen konstruiert und waren als Surfer in vielen Ländern unterwegs. Die Ermittlungen zur Ursache für den tödlichen Unfall an der Münchner Eisbachwelle beobachten Sie als interessierter Experte. Haben Sie eine Theorie zum Unfallhergang?
BENJAMIN DI-QUAL: Auch wenn das Absenken des Wasserspiegels offiziell keine gesicherten Erkenntnisse geliefert hat, liegt aus ingenieurtechnischer Sicht ein Zusammenhang mit den sogenannten Störsteinen nahe. Die Steine befinden sich direkt unterhalb der Welle und sind fester Bestandteil des alten technischen Bauwerks. Eine Sicherheitsleine, die Leash, kann sich insbesondere bei Zug oder Dehnung dort verhängen – was unterhalb der Wasserlinie schwer erkennbar, aber technisch plausibel ist. Dies ist keine gesicherte Tatsache, aber eine sehr wahrscheinliche Schlussfolgerung aus dem bisher bekannten Hergang. An diesen Störsteinen haben sich viele Surfer schon verletzt – oft an den Beinen, auch am Kopf. Nur ist eben bisher keiner dieser Unfälle tödlich ausgegangen.

Sind diese Steine also ein unnötiges Sicherheitsrisiko?
DI-QUAL: Als Ingenieur muss ich ganz klar sagen: Man kann das Risiko für Verletzungen an der Eisbachwelle baulich reduzieren. Die Störsteine sind nicht ursächlich für die Wellenbildung – sie stabilisieren lediglich die Position des sogenannten hydraulischen Wechselsprungs. Man könnte diese Störsteine ausbauen und die Welle technisch sicherer machen. Ich will nicht sagen, dass man den Unfall hätte verhindern können. Wassersport beinhaltet immer ein Risiko. Aber wenn sich Gefahren durch technische Anpassungen verringern lassen, sollte man nicht nur können, sondern auch wollen. Aus meiner Sicht wurde dieses Thema in München über viele Jahre hinweg zu wenig aktiv angegangen. Es wäre an der Zeit, dass man sich der Gesamtverantwortung stellt und die Diskussion offen führt.
Was meinen Sie damit?
DI-QUAL: Die Grundlage der Eisbachwelle – die sogenannten Störsteine eben – haben seit jeher Weißwasser erzeugt. Erst ab den frühen 1980er Jahren begannen Surfer mit baulichen Ergänzungen wie Holzbrettern und Eisenbahnschwellen, um eine konstante, surfbare Welle zu schaffen. Was daraus entstand, war eine Erfolgsgeschichte: Surfen mitten in München, zu jeder Jahreszeit. Auch ich war schon dabei, als improvisierte Konstruktionen reingehängt wurden. Über Jahrzehnte wurden improvisierte Einbauten und die Gefahren der vorhandenen Strukturen bewusst ignoriert – von Szene, Stadt und Behörden gleichermaßen. Erst vor einem Jahr hat die Stadt als Eigentümerin der Welle solche Einbauten verboten. Aber auch die sogenannte Core-Szene, der innerste Kreis der Eisbachsurfer, leistete jahrelang Widerstand gegen bauliche Anpassungen an der Eisbachwelle. Anfänger wurden weggeschickt mit dem Argument, die Welle sei nur für Profis beherrschbar.
Ist eine bauliche Umgestaltung der Welle zur Verbesserung der Sicherheit möglich?
DI-QUAL: Eindeutig ja. Die Störsteine sind nicht ursächlich für die Wellenbildung – sie stabilisieren lediglich die Position des sogenannten hydraulischen Wechselsprungs. Die eigentliche Welle entsteht physikalisch durch das Auftreffen des beschleunigten Wassers auf das langsamere, strömende Wasser im nachfolgenden Bachabschnitt. Eine gezielt konstruierte Klappe oder Schwelle kann diesen Effekt ebenso erzeugen – nur deutlich sicherer. Bei moderner Gestaltung lassen sich Konstruktionen entwickeln, bei denen Verletzungen oder ein Verhängen technischer Ausrüstung ausgeschlossen sind. Gleichzeitig könnte dadurch auch die Wellenqualität verbessert werden, insbesondere seit improvisierte Einbauten durch Surfer aus haftungsrechtlichen Gründen nicht mehr zugelassen werden. Ein solcher Umbau würde jedoch bedeuten, dass die Welle als Sportstätte gilt – und damit einen Betreiber benötigt.
Wer könnte das sein?
DI-QUAL: Die Stadt München müsste hierfür entweder selbst Verantwortung übernehmen oder mit einem Verein oder einer etablierten Organisation wie der Interessengemeinschaft Surfen in München (IGSM) eine verbindliche Betriebsstruktur schaffen. Dieser Schritt ist unausweichlich, wenn man Sicherheit und Nutzbarkeit in Einklang bringen möchte.

Sie sagen es selbst: Die Eisbachwelle ist jahrzehntealt. Würde man die Welle heute anders bauen?
DI-QUAL: Absolut. Die Eisbachwelle entstand nie aus einer ingenieurtechnischen Planung für den Surfsport, sondern als Folge nicht optimal ausgeführter wasserbaulicher Strukturen. Eigentlich war hier – aus wasserwirtschaftlicher Sicht – das Ziel, mit einer weißen Deckwalze möglichst viel Energie aus dem Auslass zu vernichten. Die surfbare Welle ist damit streng genommen ein Nebenprodukt schlechten Wasserbaus – wenn auch ein sportlich faszinierendes. Heute werden Flusswellen gezielt für den Surf- oder Kajaksport konstruiert. Sie sind sicherer, hydrodynamisch stabiler und lassen sich gezielt steuern. Auch bei wechselnden Wasserständen können sie konstant betrieben und im Ernstfall kurzfristig abgeschaltet werden. Insofern ist der technische Standard heute ein völlig anderer – und sicherer.
Zur Person
Benjamin Di-Qual ist Diplom-Ingenieur in Traunstein. Er hat langjährige Erfahrung in Planung, Konzeption und Umsetzung künstlicher Flusswellen im In- und Ausland. 2021 errang er Platz drei beim Bayerischen Ingenieurpreis für die Flusswelle im österreichischen Ebensee. Es ist die weltweit größte gebaute, stehende Welle.
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